Seit dem 28. Juni gelten die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) verbindlich. Für Websites und Online‑Shops heißt das: Digitale Angebote müssen so gestaltet sein, dass sie von Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten genutzt werden können – ohne unzumutbare Barrieren.
Wer ist betroffen? Grundsätzlich Anbieter, die die folgenden Schwellen überschreiten:
- mehr als zehn Beschäftigte oder
- mehr als zwei Millionen Euro Jahresumsatz.
Für neue Websites und digitale Dienste gelten die Vorgaben ab sofort. Bestehende Angebote erhalten eine Umsetzungsfrist und müssen spätestens bis 2030 angepasst sein. Verstöße können durch Marktüberwachungsbehörden aufgegriffen werden. Es drohen stichprobenartige Prüfungen, Meldungen durch Verbraucherinnen und Verbraucher, Bußgelder bis zu 100.000 Euro und im Extremfall die Abschaltung des Angebots. Das BFSG umfasst auch physische und digitale Systeme (z. B. Selbstbedienungsterminals); der Fokus dieses Beitrags liegt auf Websites und E‑Commerce.
Wichtig für kleinere Unternehmen: Auch wenn Sie formal teils ausgenommen sind, zahlt Barrierefreiheit direkt auf Ihr Geschäft ein – durch bessere Nutzererlebnisse, größere Reichweite, positive Effekte auf SEO und Conversion sowie geringeres rechtliches Risiko in Lieferketten und Ausschreibungen.
Barrierefreiheit in der Praxis: die vier Prinzipien im Web
Barrierefreiheit ist kein „Add‑on“, sondern gutes, robustes Produktdesign. Die etablierten Leitplanken liefern die WCAG‑Prinzipien (wahrnehmbar, bedienbar, verständlich, robust). Praktisch bedeutet das für Websites und Shops:
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Wahrnehmbar
- Ausreichende Farbkontraste für Texte, Icons, Bedienelemente.
- Skalierbare Schrift und reflow-fähiges Layout ohne horizontales Scrollen.
- Alternativtexte für aussagekräftige Bilder und Grafiken; dekorative Bilder als solche kennzeichnen.
- Untertitel und Transkripte für Videos; Audiodeskriptionen bei Bedarf.
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Bedienbar
- Vollständige Tastaturnavigation ohne Fallen; sichtbarer Fokuszustand auf allen interaktiven Elementen.
- Ausreichende Zielgrößen für Touch und Maus; genügend Abstände zwischen Klickflächen.
- Konsistente, verständliche Navigation und Orientierung; Sprunglinks (Skip‑Links) zu Hauptinhalten.
- Zeitabhängige Inhalte und Carousels steuerbar (Pause/Stop), keine unerwarteten Kontextwechsel.
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Verständlich
- Klare, prägnante Sprache; technische Begriffe erklären.
- Saubere Überschriftenhierarchie (H1–H6) und logische Struktur.
- Aussagekräftige Linktexte („Zum Warenkorb“ statt „Hier klicken“).
- Hilfreiche Fehlermeldungen und Formularkennzeichnungen (Labels, Pflichtfeld‑Hinweise, Fehlerzusammenfassung).
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Robust
- Semantisches HTML als Basis; ARIA‑Rollen nur ergänzend und korrekt eingesetzt.
- Kompatibilität mit Screenreadern und assistiven Technologien.
- Responsives Verhalten und stabiler Reflow auch bei hohem Zoom.
- Technische Qualitätssicherung (valider Code, eindeutige IDs, nachvollziehbare Zustände).
Diese Maßnahmen verbessern nicht nur die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen, sondern auch die allgemeine Usability – gerade in kritischen Pfaden wie Produktsuche, Warenkorb und Checkout.
Praxisleitfaden für KMU: in fünf Schritten effizient umsetzen
1) Audit: Ist‑Analyse mit Fokus
- Prüfen Sie Ihre zentralen Templates und meistgenutzten Nutzerpfade: Startseite, Kategorie/Listing, Produktdetail, Checkout, Konto/Anmeldung, Kontakt- und Lead‑Formulare.
- Orientieren Sie sich an anerkannten Standards (z. B. EN 301 549 und WCAG‑Konformität auf Niveau AA).
- Dokumentieren Sie Barrieren mit Beispielen, Schweregrad, betroffenen Nutzergruppen und betroffenen Geschäftszielen (Conversion, Leads, Absprungrate).
2) Priorisieren: Quick Wins zuerst
- Schnelle Verbesserungen mit hoher Wirkung:
- Kontraste und Farbpalette
- Sichtbare Fokuszustände
- Alt‑Texte für Bilder
- Formularlabels und Feldzuordnungen
- Tastaturbedienung ohne Maus
- Skip‑Links zum Hauptinhalt
- Sprache‑Attribut auf Dokument- und Abschnittsebene
- Korrekte Headings
- Präzise Fehlerhinweise
- Danach komplexere Komponenten:
- Navigation und Megamenüs
- Modale Dialoge und Overlays
- Carousels/Slider
- Filter, Facetten und Sortierung
- Daten‑Tabellen
- Mediaplayer und Streaming
3) Umsetzen: Muster, die tragen
- Etablieren Sie ein barrierefreies Designsystem/Pattern Library mit dokumentierten Komponenten und Beispielen.
- Bauen Sie semantische Komponenten (Buttons statt Links für Aktionen, Listen und Landmark‑Regions für Struktur).
- Stellen Sie Medien‑Alternativen bereit (Untertitel, Transkripte, Alternativtexte).
- Nutzen Sie Farbe nicht als einziges Unterscheidungsmerkmal (z. B. zusätzlich Muster, Icons, Text).
- Sorgen Sie für ausreichende Touch‑Zielgrößen und klare Interaktionszonen.
- Halten Sie Interaktionsmuster konsistent über alle Seiten und Viewports.
4) Testen: Kombiniert ist besser
- Automatisierte Prüfungen integrieren (Code‑Validatoren, Kontrast‑Checks, Regel‑Scanner) – sie finden viele, aber nicht alle Probleme.
- Manuelle Tests ergänzen:
- Tastatur‑Only (Tab, Shift+Tab, Enter, Space, Pfeile)
- Screenreader‑Checks (z. B. Fokusreihenfolge, Rollen, Namen, Zustände)
- Hoher Zoom/Reflow und reduzierter Bewegung/hoher Kontrast
- Führen Sie Tests mit echten Nutzenden durch, idealerweise inkl. Menschen mit Behinderungen.
- Richten Sie Regressionstests in der Auslieferungspipeline ein, damit Fixes bestehen bleiben.
5) Verankern: Nachhaltig statt einmalig
- Verantwortlichkeiten klar festlegen (Product Owner, Entwicklung, Design, Redaktion).
- Redaktionsleitfaden erstellen: klare Sprache, aussagekräftige Linktexte, Alternativtexte, barrierefreie PDFs und Dokumente.
- Schulungen für Content‑, Design‑ und Dev‑Teams.
- Anforderungen fest in Einkauf, Briefings und Agenturverträge aufnehmen.
- Dokumentation und Nachweisführung organisieren (Audit‑Berichte, Maßnahmenlisten, Testprotokolle) – wichtig für interne Qualitätssicherung und bei Nachfragen der Aufsicht.
Business‑Nutzen jenseits der Compliance
Barrierefreiheit ist ein Wachstums‑ und Effizienzhebel:
- Mehr Umsatz und Conversion: Reibungsfreie Checkout‑Strecken und klare Formulare reduzieren Abbrüche.
- Größere Reichweite: Menschen mit Behinderungen, ältere Zielgruppen und mobile Nutzer mit kontextuellen Einschränkungen profitieren.
- Bessere Auffindbarkeit: Saubere Semantik, klare Struktur und schnelle Ladezeiten zahlen auf SEO ein.
- Niedrigere Wartungs‑ und Supportkosten: Robuster, standardkonformer Code bricht seltener und ist leichter zu pflegen.
- Stärkeres Markenbild: Inklusion und Verantwortungsbewusstsein steigern Vertrauen und Empfehlungsbereitschaft.
- Geringeres rechtliches Risiko: Sie minimieren die Gefahr von Beanstandungen, Bußgeldern und Abschaltungen.
Checkliste für den Start – und wie wir Sie unterstützen
- Rechtliche Schwellen prüfen (Mitarbeitende/Umsatz) und Anwendbarkeit des BFSG klären.
- Interne Verantwortliche benennen (Owner für Accessibility).
- Kurze Vor‑Analyse der wichtigsten Seiten und Nutzerpfade durchführen.
- Quick Wins planen und zeitnah umsetzen; komplexere Themen in Epics bündeln.
- Roadmap bis 2030 definieren, mit Meilensteinen und Budgetierung.
- Fortschritt transparent dokumentieren (Maßnahmen, Tests, Nachweise).
Als Agentur für digitale Präsenz unterstützen wir Sie pragmatisch und effizient:
- Kostenlose und unverbindliche Erstanalyse zur Identifikation der größten Hebel.
- Audit Ihrer Website/Ihres Shops entlang gängiger Standards mit priorisierter Maßnahmenliste.
- Entwicklung barrierefreier Designsysteme und semantischer Komponenten.
- Begleitung bei Content‑Optimierung (klare Sprache, Alt‑Texte, barrierefreie PDFs) sowie Schulungen für Teams.
- Einrichtung kombinierter Test‑Setups und Regressionstests in Ihrer Pipeline.
- Kontinuierliche Beratung, damit Barrierefreiheit in Einkauf, Briefings und Redaktionsprozesse einfließt.
So sichern Sie nicht nur die BFSG‑Konformität, sondern stärken auch nachhaltig UX, SEO und Conversion. Wenn Sie jetzt starten, vermeiden Sie teure Nacharbeiten kurz vor der Frist – und schaffen früh messbaren Mehrwert für Ihre Kundinnen und Kunden.