Ab dem 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft – mit dem klaren Ziel, digitalen Zugang für alle zu sichern. Für den Online‑Bereich betrifft das insbesondere Websites und Webshops von Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten oder einem Jahresumsatz über zwei Millionen Euro. Für neue Websites und Shop‑Instanzen gilt: Sie müssen ab dem Stichtag barrierefrei sein. Bestehende Angebote erhalten eine Übergangsfrist und sind spätestens bis 2030 anzupassen. Die Einhaltung wird durch eine Marktüberwachungsstelle stichprobenartig sowie anlassbezogen bei Hinweisen geprüft. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 100.000 Euro; im Extremfall kann sogar eine Abschaltung angeordnet werden. Verbraucherinnen und Verbraucher können Barrieren melden, haben jedoch keinen individuellen Anspruch auf Umrüstung bestehender Systeme.

Das BFSG erfasst neben digitalen Diensten auch physische Geräte und Selbstbedienungsterminals – etwa Geldautomaten oder Ticketautomaten. Ältere Geräte besitzen einen zeitlich begrenzten Bestandsschutz, müssen aber spätestens bis 2040 den neuen Standards entsprechen. Dieser Kontext verdeutlicht: Barrierefreiheit wird in Deutschland systematisch verankert – online wie offline. Für KMU bedeutet das, frühzeitig zu handeln, um Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen.

Warum Sie das betrifft? Erstens, weil es eine rechtliche Pflicht ist und Verstöße empfindliche Sanktionen nach sich ziehen können. Zweitens, weil barrierefreie Angebote messbar die Nutzererfahrung verbessern – von klarer Struktur über verständliche Fehlermeldungen bis hin zu reibungsarmen Checkouts – und damit Conversion‑Raten steigern. Drittens, weil Sie neue Zielgruppen erschließen: Menschen mit Behinderungen, ältere Nutzerinnen und Nutzer sowie alle, die situative Einschränkungen haben (Blendlicht, geringe Bandbreite, Einhand‑Bedienung). Und viertens, weil Barrierefreiheit positive Effekte auf Sichtbarkeit und Vertrauen hat: Viele Maßnahmen überschneiden sich mit bewährten SEO‑ und UX‑Prinzipien und stärken die Markenwahrnehmung.

Was konkret umzusetzen ist: Ihr Praxisleitfaden nach WCAG 2.2 AA

Orientieren Sie Ihre Maßnahmen an etablierten Standards wie den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.2 auf Konformitätsstufe AA. Die folgenden Punkte sind für Websites und Online‑Shops zentral:

  • Ausreichende Farbkontraste: Stellen Sie sicher, dass Text, Bedienelemente und wichtige Grafiken gegenüber dem Hintergrund gut lesbar sind. Kontrast‑Checks sollten Bestandteil des Design‑Reviews sein.
  • Skalierbarer Text: Inhalte müssen ohne Funktionsverlust auf mindestens 200 % vergrößerbar sein; Layouts sollten responsiv und flexibel bleiben.
  • Klare Struktur mit korrekten Überschriftenebenen: Verwenden Sie H1–H6 logisch und vermeiden Sie rein optische Überschriften ohne semantische Bedeutung.
  • Semantisches HTML und sinnvolle Fokus‑Reihenfolge: Buttons statt klickbarer DIVs, Listen für Aufzählungen, Tabellen nur für Tabellendaten. Die Tab‑Reihenfolge folgt dem visuellen Fluss.
  • Volle Tastaturbedienbarkeit und sichtbare Fokus‑Indikatoren: Alle Funktionen müssen ohne Maus bedienbar sein. Der Fokuszustand ist klar erkennbar, auch in komplexen Komponenten wie Mega‑Menüs oder Carousels.
  • Alternativtexte für Bilder: Beschreiben Sie die Funktion und Information eines Bildes. Dekorative Grafiken erhalten leere Alt‑Attribute.
  • Beschreibende Linktexte: „Zum Warenkorb“ statt „Hier klicken“. Kontextlose Kurzlinks erschweren Screenreader‑Nutzung.
  • Korrekt beschriftete Formulare mit Hilfetexten und verständlichen Fehlermeldungen: Labels sind programmatisch verknüpft, Pflichtfelder klar gekennzeichnet, Fehler werden textlich erklärt und helfen beim Korrigieren.
  • Barrierefreie oder alternative Prüfverfahren statt problematischer Captchas: Nutzen Sie barrierearme Lösungen (z. B. serverseitige Prüfungen, risikobasierte Checks) und bieten Sie eine zugängliche Alternative an.
  • Untertitel/Transkripte für Multimedia: Videos erhalten Untertitel; für reine Audio‑ oder Video‑Inhalte stellen Sie Transkripte bereit.
  • Ausreichende Zielgrößen und Abstände: Interaktive Elemente sind gut mit Finger oder Tastatur zu treffen; ungewollte Aktivierungen werden vermieden.
  • Fehlervermeidung in Checkout‑Prozessen: Bestätigungs‑Schritte, Editierbarkeit vor dem Kaufabschluss, Zwischenspeicherung von Eingaben und klare Zusammenfassungen reduzieren Abbrüche.
  • Konsistente Navigation und „Skip‑Links“: Einheitliche Menüs und Sprungmarken („Zum Inhalt springen“) beschleunigen die Orientierung.
  • Korrekte Spracheinstellungen: Weisen Sie die Hauptsprache des Dokuments und Sprachwechsel inline korrekt aus.
  • ARIA nur ergänzend und korrekt: Nutzen Sie WAI‑ARIA, um semantische Lücken zu schließen, nicht um Semantik zu ersetzen. Falscher Einsatz verursacht Barrieren.
  • Barrierefreie Dokumente: Bevorzugen Sie HTML statt nicht barrierefreier PDFs. Wenn PDFs nötig sind, erstellen Sie diese zugänglich und prüfen Sie sie.
  • Gut sichtbare Kontakt‑/Meldeoption für Barrieren: Bieten Sie eine niedrigschwellige Möglichkeit, Probleme zu melden, und reagieren Sie nachvollziehbar.
  • Verständliche Barrierefreiheitserklärung: Beschreiben Sie den Konformitätsstand, bekannte Einschränkungen, Kontaktwege und den Prozess zur Mängelmeldung in klarer Sprache.
  • Regelmäßige Audits und Monitoring: Kombinieren Sie automatisierte Prüfungen mit manuellen Tests (inkl. Screenreader) und verfolgen Sie Verbesserungen über Metriken.

Praktischer Hinweis: Prüfen Sie besonders die Templates mit hohem Conversion‑Einfluss – Startseite, Kategorie‑ und Produktseiten, Suche, Formulare, Warenkorb und Checkout. Gerade dort zahlen sich Barrierefreiheits‑Verbesserungen doppelt aus.

Vorgehen für KMU: Vom Audit zur Roadmap bis 2030

  • Sofortige Bestandsaufnahme/Audit: Starten Sie mit einer Kombination aus automatisierten Tools und manuellen Prüfungen. Testen Sie mit Screenreadern (z. B. NVDA/JAWS), Tastaturnavigation und unterschiedlichen Endgeräten/Zoomstufen. Dokumentieren Sie konkrete Befunde statt nur „Bestanden/Nicht bestanden“.
  • Priorisierung der wirkungsstärksten Bereiche: Konzentrieren Sie sich zuerst auf Seiten und Komponenten mit hohem Traffic und Umsatzrelevanz: Startseite, Produkt‑Detail, Kategorieseiten, Suche/Filter, Checkout, Registrierungs‑ und Kontaktformulare, Login/Konto.
  • Roadmap bis 2030 mit Quick‑Wins und Meilensteinen: Bündeln Sie kurzfristig realisierbare Korrekturen (z. B. Kontraste, Alt‑Texte, Fokus‑Stile) und planen Sie mittelfristige Umbauten (z. B. Refactoring von Komponenten, Navigationslogik, Formularvalidierung). Definieren Sie messbare Meilensteine und Abnahmekriterien.
  • Integration in Design‑Systeme, Redaktions‑Workflows und CI/CD: Verankern Sie Barrierefreiheit in Komponentenbibliotheken (z. B. zugängliche Buttons, Modals, Tabs), Styleguides und Content‑Richtlinien. Automatisieren Sie Checks in der Pipeline (Linting, visuelle Regressionen, Kontrast‑Tests) und ergänzen Sie manuelle QA‑Schritte.
  • Schulung von Redaktion, Entwicklung und Support: Redaktionen schreiben verständliche, strukturierte Inhalte, pflegen Alt‑Texte und vermeiden „PDF only“. Entwicklerinnen und Entwickler beherrschen semantisches HTML, ARIA, Fokus‑Management und testgetriebene Accessibility. Der Support kann Meldungen korrekt aufnehmen und priorisieren.
  • Anforderungen in Beschaffung und Briefings früh verankern: Ausschreibungen, Agentur‑Briefings und Tool‑Beschaffungen enthalten verbindliche Accessibility‑Kriterien (z. B. WCAG 2.2 AA), Abnahmetests und Wartungsvereinbarungen. So vermeiden Sie spätere Mehrkosten.
  • Ergebnisse transparent dokumentieren: Halten Sie den Konformitätsstand, offene Maßnahmen, Verantwortlichkeiten, Testprotokolle und Re‑Test‑Termine fest. Diese Dokumentation erleichtert die Zusammenarbeit mit der Marktüberwachung und schafft intern Klarheit.
  • Kontinuierliches Monitoring: Kombinieren Sie Web‑Analyse‑Signale (z. B. Abbrüche im Formular, Tastaturnutzung, Fehlermeldungsraten) mit regelmäßigen Spot‑Checks. So erkennen Sie Regressionen früh.

Je früher Sie beginnen, desto geringer der Gesamtauswand. Barrierefreiheit ist kein „Einmal‑Projekt“, sondern Teil der kontinuierlichen Qualitäts‑ und Conversion‑Optimierung. Wer heute Best Practices in Design‑Systeme und Prozesse integriert, vermeidet teure Nacharbeiten und technische Schulden.

Jetzt handeln: Risiko senken, Conversion steigern, Vorteile sichern

Warten bis 2030 lohnt sich nicht. Frühzeitige Anpassungen reduzieren Kosten, minimieren Rechtsrisiken und verbessern sofort die Usability – messbar in niedrigeren Abbruchraten, höheren Klickraten auf klar beschriftete Elemente und weniger Supportaufwand. Gleichzeitig erschließen Sie neue Zielgruppen und stärken Ihre Sichtbarkeit, weil viele Accessibility‑Maßnahmen mit guter SEO, Performance und Mobile‑UX einhergehen.

Wenn Sie strukturiert vorgehen – mit Audit, klarer Priorisierung, Roadmap und verankerten Standards – ist Barrierefreiheit für KMU machbar und wirtschaftlich sinnvoll. Und falls Sie Unterstützung möchten: Eine unabhängige, kostenlose und unverbindliche Erstanalyse hilft Ihnen, die größten Hebel schnell zu erkennen und den Weg zur BFSG‑Konformität effizient zu planen.

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